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Am 24. März 1999 erwies die Sozialdemokratie ein weiteres Mal, dass sie fest auf der Seite des Kapitals steht: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ging wieder Krieg von deutschem Boden aus. Die rot-grüne Regierung entsandte damals im Kosovokrieg Soldaten. Sie bombardierten für die NATO-Operation „Allied Force” mit Kampfflugzeugen serbische Städte und besiegelten damit die endgültige Zerstörung des Vielvölkerstaates Jugoslawiens.
Die BRD setzte deutsche Interessen in Jugoslawien aggressiv durch
Dieser Wendepunkt war von Deutschland aus in den Jahren nach der Konterrevolution sorgfältig vorbereitet worden. Das Ende der Sowjetunion bot für die imperialistischen Mächte die Gelegenheit, in Raubtier-Manier über die Märkte und Rohstoffe im Osten herzufallen um sich die größten Stücke in der Neuaufteilung zu sichern.
Schon 1992 setzten die „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ der Bundeswehr offen das Ziel, „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels“ und „ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“i zu schaffen. Auf dem Weg zur entsprechenden Vormachtstellung im osteuropäischen Raum, setzte die BRD durch, dass EU und USA die Abspaltung Kroatiens, dann Sloweniens und später Bosnien-Herzegowinas Anfang der 90er anerkannten. Der damalige Außenminister Genscher drohte andernfalls mit einem Alleingang – wie auch 1994 die CDU/CSU im Fall der EU-Osterweiterungii. Auch die Abspaltung des Kosovos trieb Deutschland von Beginn an voran und rüstete bereits früh die paramilitärische albanische UÇK auf, die 1999 als Verbündeter der NATO im Kosovo kämpfte. Genschers Nachfolger, Außenminister Kinkel gab zuvor noch ganz ungeniert zu, dass diese deutschen Interessen im osteuropäischen Raum in der Traditionslinie des Ersten und Zweiten Weltkriegs stehen.
Denn nicht nur als Absatzmarkt ist und war der südosteuropäische Raum höchst relevant, auch die Kontrolle von Gas- und Öltransport aus der kaspischen Region ist ein heiß umstrittener Machtfaktor. So begann die Planung der Pipelines SEEL und Nabucco unter deutscher Mitwirkung kurz nach der Bombardierung Kosovos, Joschka Fischer beriet mit seiner einschlägigen Erfahrung das Nabucco-Projekt politischiii.
Ökonomisch schlachteten die Besatzer das Gebiet nach der Intervention aus: Nach wenigen Monaten Krieg 1999 hatten NATO und UN-Mission große Teile von Serbien zerstört und den Kosovo für die nächsten Jahre besetzt. Die „Kosovo Trust Agency“ privatisierte dann über 50 % der staatlichen und gemeinschaftlichen Unternehmen- teilweise gab es auch Enteignungeniv zugunsten ausländischer Konzernev,vi.
Die Weltbank jubelte im Anschluss über die gestrichenen Zollbeschränkungenvii, mithilfe derer ausländische Investoren das Land ausnehmen konnten wie eine Weihnachtsgans. Ein Vorgehen, das für die Besatzungen im Irak und Afghanistan als Blaupause dienen sollte und schon bei Verhandlungen in Rambouillet vor dem Angriff insgeheim vorbereitet wurdeviiiix. Schon im Jahr 2000 hatte sich der Anteil ausländischer Großbanken um 65 % erhöhtx – in ganz Osteuropa vorne mit dabei bis heute die Commerzbank, Deutsche und Dresdner Bank. Auch Energiekonzerne (RWE und eon) und Kommunikationsunternehmen verschlangen in den 2000ern große Anteile tschechischer, slowakischer, ungarischer und weiterer osteuropäischer Konzerne xi,xii. Der Großteil der Medien einiger osteuropäischer Länder werden heute noch durch den deutschen Springerkonzern und die WAZ kontrolliert und schon 2003 kritisierte der Europarat die Monopolisierung der osteuropäischen Medienlandschaft durch ausländisches Kapitalxiii.
Die Folgen des Kriegs werden die Menschen in der Region noch lange belasten, bis heute ist der Kosovo der zweitgrößte Einsatzort der Bundeswehr. Pogrome an Serben wie in Prizrenxiv fanden noch Jahre später statt, die Arbeiter protestierten gegen die Besatzung und Enteignung der Gemeinschaftsbetriebexv.
Nur durch Medienmanipulationen, nur unter einer linken Regierung
Von Anfang an war es im Interesse der Imperialisten, den Vielvölkerstaat Jugoslawien durch den Aufbau nationalistischer Bewegungen zu zersetzen. Ohne Zweifel gab es auf allen Seiten nationalistisch motivierte Ausschreitung gegenüber anderer Volksgruppen. Wie die WDR Produktion „Es begann mit einer Lüge“ zeigt, sahen die Spitzenpolitiker aber nur mit Beweisfälschungen und nicht beweisbaren Behauptungen die Möglichkeit, den Angriff vor der deutschen Bevölkerung zu legitimieren. Die Berichte über diesen Bürgerkrieg waren hetzerisch, die Medien im Jagdfieber, wie einige Journalisten in den Jahren danach beschämt einräumten. Eine sachliche Auseinandersetzung war in dieser aufgeheizten Stimmung nicht mehr möglich. Der grüne Außenminister Joschka Fischer erlog eine serbische SS und ein Stadionmassaker, instrumentalisierte den Holocaust („Ich habe gelernt: Nie wieder Auschwitz“). Gleichzeitig wurde über Massaker mit serbischen Opfern wie 1998 in Klecka geschwiegen. Noch zwei Tage bevor sich die SPD gezwungen sah, einen Völkermord zu verhindern, berichtete das Bundesnachrichtenamt, dass nichts auf ethnischen Säuberungen hindeutete. So produzierte die NATO-Bombardierung selbst die grauenhaften Bilder, die dann wieder als Begründung für den Krieg dienten.
Nur durch solche moralischen Totschlaggeschütze war die Öffentlichkeit derart zu lähmen, dass nach 45 Jahren wieder ein Krieg geführt werden konnte. Den hätten CDU oder FDP 1999 die Bundesregierung gestellt und die Bombardierung Belgrads ohne Mandat gefordert, wäre es keine Frage gewesen, dass die pazifistischen Teile der Grünen und SPD ihre Anhänger auf die Straße gerufen hätten. Es bedurfte einer Rot-Grünen Regierung um zu verhindern, dass sich Gewerkschaften und die Friedensbewegung gegen den Krieg auflehnten und es gelang zum Teils sogar, sie in die Kriegstreiberei miteinzubeziehen. Im Angesicht des fehlenden Widerstands gegen die Kriegspolitik in Libyen, Syrien, Afghanistan etc. wird deutlich: Die Strategie ging auf, in Kriegsfragen herrscht Desorientierung. Das zeigt, wie gefährlich und stark die Integrationskraft der Sozialdemokraten und Grünen für die Arbeiterklasse ist und wie nützlich für die deutsche Bourgeoisie.
… und die rot-grüne Kriegspolitik geht weiter
Seit dem Einsatz 1999 blieben beide Parteien Verfechter des Kriegs und der Aufrüstung. Bei der Invasion Afghanistans drängte die BRD den USA ungefragt ihre Hilfe aufxvi. Im Irakkrieg beteiligte sich der BND trotz pazifistischer Heucheleien schon zu Kriegsbeginn durch die Weitergabe von Informationenxvii, mit denen letztlich die USA Hinweise auf Massenvernichtungswaffen fälschten. Deutschland war der wichtigste US-Luftwaffen-Stützpunkt für den Irak, die Bundeswehr beschaffte mit NATO-AWACS Informationen für den Angriffskrieg xviii.
Das Muster des Kosovo-Einsatzes, Beweise zu erdichten um Interventionen gegen „teuflische Diktatoren“ durchzusetzen, wiederholte sich. SPD und insbesondere die Grünen haben sich als kriegstreiberische Parteien enthüllt, die ohne Wenn und Aber alle Kräfte unterstützen, die den deutschen Kapitalinteressen nutzen. Wie es damals UÇK-Söldner waren, wurden 2014 die neofaschistische Swoboda-Partei und der Rechte Sektor für den Putsch in der Ukraine unterstützt. Grüne Spitzenpolitiker wie Trittin forderten im selben Jahr ganz offen, durch eine aggressivere Außenpolitik „nicht mehr abseits zu stehen“.
Rot-Grün hat es der deutschen Bourgeoisie möglich gemacht, wieder Waffen zur Durchsetzung ihrer Interessen zu verwenden. Deutschland stieg in dieser Zeit zum drittgrößten Waffenexporteur weltweit auf. So zeigt sich immer wieder, dass friedliche Politik im Kapitalismus nicht möglich ist. Denn wenn Konzerne ihre Interessen nicht mit erpressten Freihandelsverträgen oder Kreditbedingungen durchsetzen können, dient der Krieg als adäquates Mittel.
Rot-rot-grün bedeutet Krieg – Solidarität muss praktisch sein!
Von den Versprechungen einiger Linken, beiden Parteien nicht nachzueifern, dürfen wir uns nicht blenden lassen – schon seit Jahren macht der Zick-Zack-Kurs von Spitzenpolitikern wie Gysixix und Ramelow deutlich, dass sie mit Bundeswehreinsätzen und der NATO kein Problem haben, sobald eine Regierungsbeteiligung vor ihrer Nase baumelt. 2021 könnte es eine besonders linke Regierung sein, die den nächsten Krieg vielleicht besonders gut durchsetzen kann.
Wir dürfen uns deshalb nicht auf diese SPD, Grüne und Linkspartei orientieren, das ist falsch und gefährlich für die Arbeiterklasse. Sie schüren Illusionen in die Friedensfähigkeit des Kapitalismus, setzen die Interessen des Kapitals unter dem Deckmäntelchen der Menschenrechte durch.
Denn spätestens, wenn das nicht mehr ohne offene Gewalt gegen andere imperialistische Länder möglich ist, stellt sich wieder wie vor 100 Jahren die Frage: Lässt sich die Arbeiterklasse für Absatzmärkte und Ressourcen von Volkswagen, Siemens, Deutsche Bank und Allianz opfern, werden sie sich auf eine Seite der Kriegsparteien schlagen – oder ergreifen sie die Gelegenheit, an der Seite der angegriffenen Brüder und Schwester gegen die Barbarei zu kämpfen?
Nur wenn die Arbeiterklasse es schafft, ihre Spaltung zu überwinden und Internationalismus im alltäglichen Kampf praktisch werden zu lassen, wird sie den Sozialismus erkämpfen!
iBundesministerium der Verteidigung, „Verteidigungspolitische Richtlinien“, 26.11.1992 https://zeitgedankenweb.files.wordpress.com/2017/09/verteidigungspolitische_richtlinien_1992.pdf , S.4
iiPreger, „Warum Bonn am Pranger steht“ Zeit Online, 25.06.1993 https://www.zeit.de/1993/26/warum-bonn-am-pranger-steht/seite-2
iiiddp/cn, „Auch Joschka Fischer wird jetzt Pipeline-Lobbyist“ Die Welt, 25.06.2009 https://www.welt.de/politik/article4000115/Auch-Joschka-Fischer-wird-jetzt-Pipeline-Lobbyist.html
ivNorwegian Institute of International Affairs „Privatization in Kosovo: The International Project 1999–2008“ 2010 https://www.files.ethz.ch/isn/121346/Knudsen%20report-NUPI%20Report.pdf
vOSCE Kosovo, „EXPROPRIATIONS IN KOSOVO“ 2006 –https://www.osce.org/kosovo/23286?download=true;
viFeilcke-Thielmann, „Die Privatisierung im Kosovo kommt voran dw-Radio “https://www.dw.com/de/die-privatisierung-im-kosovo-kommt-voran/a-1552376 (Interview mit UN-Missions-Vertreter)
viiWeltbank: Kosovo Brief 2008 http://web.worldbank.org/archive/website01352/WEB/0__PAG-2.HTM
viiiWagner „Testfall Afghanistan: Neoliberaler Umbau und Guerillakrieg“, IMI-Analyse 2010 http://www.imi-online.de/2010/07/23/testfall-afghanistan/
ix Rambouillet Agreement: Interim Agreement for Peace and Self-Government in Kosovo https://1997-2001.state.gov/regions/eur/ksvo_rambouillet_text.html Economic Issues, Article 1
xSüddeutsche Zeitung, „Ost-Banken in westlicher Hand“; 10.09.2001 (liegt mir in PDF-Form vor)
xiVerlängerte Werkbank für die Maschinenbauer 28.04.2005 https://www.handelsblatt.com/politik/international/tschechien-und-polen-sind-die-wichtigsten-maerkte-fuer-deutsche-firmen-verlaengerte-werkbank-fuer-die-maschinenbauer/2498566.html; KAZ „EU-Osterweiterung“ 2003 https://www.kaz-online.de/artikel/eu-osterweiterung; Stichprobe für RWE: Erwarb 50% der slowakischen VSE 2002 https://www.presseportal.de/download/document/20036-gb2002d.pdf
xiiTomas Konicz, „Deutsch-Mittelost“, Telepolis 16.06.2011 https://www.heise.de/tp/features/Deutsch-Mittelost-3390149.html?seite=all
xiiiEruoparat „Concentrations transnationales des médias en Europe“ https://rm.coe.int/090000168092a68d S.11
xivWölfl, „Jahrestag der Übergriffe auf Minderheiten im Kosovo“ DerStandard, 17.03.2018 https://derstandard.at/2000076334981/Jahrestag-der-Uebergriffe-gegen-Minderheiten-im-Kosovo
xvUnited Nations Development Programm: „Corruption Risk AssessmentKosovo Extractive Industries Sector“ http://www.ks.undp.org/content/dam/kosovo/docs/SAEK/UNDP-Corruption%20Risk%20Assessment%20ENG.PDF, S. 12
xviSpiegel Online, „Deutschland drängte sich für Afghanistan-Krieg auf“, 04.09.2011, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/einsatz-am-hindukusch-deutschland-draengte-sich-fuer-afghanistan-krieg-auf-a-784255.html
xviiBanse, „Wie ein BND-Informant den Irak-Krieg auslöste“, Die Welt, 28.08.2011 https://www.welt.de/politik/specials/911/article13568908/Wie-ein-BND-Informant-den-Irak-Krieg-ausloeste.html
xviiiSpiegel Online, „Bundesrichter rüffeln deutsche Unterstützung des Irak-Kriegs“ 02.09.2005 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/urteil-bundesrichter-rueffeln-deutsche-unterstuetzung-des-irak-kriegs-a-372819.html
xixSpiegel Online, „Gysi plauderte über linke Placebo-Politik“, 18.12.2010 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/forderung-nach-nato-aufloesung-gysi-plauderte-ueber-linke-placebo-politik-a-735428.html